04.07.2025
Eindrücklich und berührend – das sind die Auftritte der Freiburger Senioren-Theatergruppe „die methusalems“ zum jüdischen Kaufmann Max Mayer. Der Kaufmann und SPD-Stadtrat, der in der Schustergasse sein Lederwarengeschäft hatte, musste vor den Nazis fliehen. Seine Tochter Lotte Paepcke schrieb Jahre später ein Buch über ihn. Dieses diente als Vorlage für die szenischen Lesungen der „methusalems“.
Was hat Max Mayer (1873 – 1962) mit der Stiftungsverwaltung zu tun? Als er im hohen Alter 1960 aus dem amerikanischen Exil zurück nach Freiburg kam, zog er in das Heiliggeiststift. Es war das neu errichtete Pflegeheim der Heiliggeistspitalstiftung in der Deutschordensstraße. Zur Erinnerung an den verfolgten und emigrierten SPD-Stadtrat benannte die Stiftungsverwaltung zudem eine Senioren-Wohnanlage in Betzenhausen nach Max Mayer. Die Erinnerung an den verfolgten und emigrierten SPD-Stadtrat sollte wachgehalten werden.
Als das Theaterprojekt der „Methusalems“ die Biografie von Lotta Paepcke als Vorlage für eine szenische Lesung auswählte, fanden sie sofort Unterstützung bei der Stiftungsverwaltung. Sie konnten in den Räumen des Adelhauser Klosters proben und veranstalten am 15. Juli 2025, 19.30 Uhr eine Aufführung im Innenhof des Klosters.
Plötzlich war die Welt eine andere
"Andere Mädchen hatten größere Väter. Und ich beneidete sie darum. Männer, die die Luft teilten, wenn sie gingen. Diese Väter schützten. Ich musste meinen Vater beschützen." Mit diesen ersten Sätzen beschreibt Lotte Paepcke ihren Vater, der ab 1933 um sein Leben fürchten musste und kurzzeitig auch im Konzentrationslager in Dachau gefangen gehalten wurde. Er hatte im ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft, war in der Weimarer Republik Stadtrat geworden. Und plötzlich war die Welt eine andere: Ausgrenzung, Verfolgung, KZ, Flucht. Lotte Paepcke gelingt es mit ihrem lakonisch-poetischen Text anhand des Schicksals ihres Vaters gleichzeitig auch über die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Menschen in Deutschland zu schreiben.
Zehn Personen mahnen
Mit den Methusalems stehen zehn Menschen auf der Bühne, die teilweise noch in der Kriegszeit geboren wurden. Die älteste, Ludmilla Müller, ist 90 Jahre alt. Sie erinnert sich noch an Bombennächte. Eine der jüngeren ist Mechthild Blum, die auch Initiatorin und Motor der Aufführungen ist. Die Aufführung findet auf einer kargen Bühne statt: Zehn Stühle und zehn Textbücher – damit lässt sich größtmögliche verdichtete Wirkung erzielen. Ein Mahnen, das unter die Haut geht. Das Publikum lernt auf diese Weise Max Mayer kennen, der mit seiner Frau Olga über die Schweiz und Spanien nach New York geflüchtet war und am Ende seines Lebens wieder ins zerbombte Freiburg zurückkam. Der lange Zeit den NS unterschätzt und auf das baldige Ende des Spuks gehofft hatte. Der sich nicht vorstellen konnte, wie schnell man eine Demokratie aushöhlen und zerstören konnte.
Wie es dazu kam
Der treibende Motor des Theaterprojektes ist Mechthild Blum. Sie hatte eine Biographie über Lotte Paepcke gelesen und anschließend die Idee verfolgte, eine Lesung aus Lotte Paepckes Roman „Ein kleiner Händler, der mein Vater war“ zur Eröffnung des Freiburger NS-Dokumentationszentrums zu entwickeln. Schnell weckte sie damit Begeisterung bei ihren Schauspielkollen_innen.
Entwurzelt zurück ins Land der Täter
Die Schilderung von Max Mayers Rückkehr nach Freiburg im Jahr 1960 bewegt viele „Methusalems“ sehr. „Wie dieser kleine, alte Mann, allein, nachdem seine Frau im Exil in New York gestorben war, die Straßen seiner ‚Heimatstadt‘ durchstreift. Und hier auf alte Bekannte trifft, die ihre Haltung und ihr Verhalten in der Nazizeit vergessen zu haben scheinen. Das hat mich sehr bedrückt“, so Mechthild Blum. Auch Ulrich Winterhager, mit 80 Jahren einer der Jüngsten der Methusalems, haben sich die Szenen der Rückkehr eingebrannt. „Mayer fuhr als alter Mann mit dem Bus nach Frankreich, um wie früher Leder einzukaufen. Da war plötzlich diese Erkenntnis nach dem langen Exil: Alles ist anders als früher.“ Mayer war ein Entwurzelter und das ist in den Lesungen hautnah zu spüren. Er kam zurück in die Welt der Täter, vieles wurde nach 1945 unter den Tisch gekehrt. „Doch der NS lebte weiter, das war uns bewusst damals“, so Winterhager.
Viele persönliche Erinnerungen während der intensiven Probenzeit
Warum engagieren sich zum Teil hochbetagte Seniorinnen und Senioren für die Aufarbeitung dieser dunklen Zeit? „Schon in meiner Kindheit waren die Gräuel der Nationalsozialisten allgegenwärtiges Thema“, so Mechthild Blum. „Das waren ja keine Fremden, keine Aliens, sondern Menschen um uns herum, in unserer Nachbarschaft und auch in unserer Verwandtschaft“. Blums Vater gehörte von frühester Jugend der USPD an, einer sozialistischen Partei im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Später wechselte er zu den Sozialdemokraten. Sein Wissen und seine Erfahrung teilte er seinen Töchtern mit, machte sie damit hellhörig für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.
Ulrich Winterhager hat sich als Lehrer und Historiker ebenfalls intensiv mit dem NS und der Verfolgung von jüdischen Menschen beschäftigt. Auch Barbara Motz engagiert sich privat für die Aufarbeitung der Verfolgung jüdischer Menschen. „Für viele von uns sind während der Proben persönliche Erinnerungen hochgekommen“, so Ulrich Winterhager. Als Max Mayer einen Tag vor Kriegsbeginn im allerletzten Moment mit dem Zug in die Schweiz floh – das bleibt für Winterhager ein Gänsehaut-Moment. In der Lesung steht er als Max Mayer auf und schaut in die Ferne in die Schweiz.
Dramaturgisch gekürzt: Vom Buch zur Lesung
Ein Buch dramaturgisch als szenische Lesung spannungsvoll zu verdichten – dass dies so erfolgreich war, ist dem früheren Schauspieler am Theater Freiburg, Ullo von Peinen, zu verdanken. Er konnte erstmals als Regisseur gewonnen werden. Seine Kürzungen für eine 90-minütige szenische Lesung bringen das Wesentliche des Buches von Lotte Paepcke hervor. Einen Text auf zehn Personen dann dramatisch verteilen und die unterschiedlichen Stimmen wirkungsvoll einzusetzen, das ist die besondere Leistung Ullo von Peinens. „Seine Regiearbeit und seine Arbeit mit unseren unterschiedlichen Stimmen war mein Highlight“, schwärmt Ulrich Winterhager.
Infos:
„Ein kleiner Händler, der mein Vater war“ –szenische Lesung der „Methusalems“
Aufführung im Adelhauser Kloster:
15. Juli 2025 um 19:30 Uhr
Im November findet nochmals eine Aufführung im jüdischen Gemeindezentrum in Freiburg statt.
Buchtipps:
Lotte Paepcke: Ein kleiner Händler, der mein Vater war, Verlag 8 Grad, Freiburg i. Br. Neuauflage Januar 2025
Gisela Hack-Molitor: Lotte Paepcke: „Es wurde nicht wieder gut.“ Als Jüdin in Nachkriegsdeutschland, Verlag 8 Grad, Freiburg i. Br. 2023
Adelhauser Straße 33
79098 Freiburg